Vor einiger Zeit kam mir diese Kritik des Buches „Aus Klavierspiel wird Musik“ von Walter Fleischmann zu Gesicht.

Mir scheint, der Rezensent Herr Vratz hat offenbar den Sinn des Buches nicht ganz verstanden.

Hier gibt es ein Werk, das für Interpreten klassischer Musik, insbesondere für Pianisten, die Grundgesetze der Musik, gleichsam die Grammatik und Syntax der musikalischen Sprache, in genauer und vollständiger Weise darlegt. Das Besondere an diesem Buch ist, dass es dem Verfasser gelingt, auf nur 60 Seiten diese Grundsätze zusammenzufassen und mit Tonbeispielen zu illustrieren. Es ist somit ein wirklich praktischer Ratgeber für Pianisten, die sich der Frage stellen, wie sie das ihnen vorliegende Notenbild lesen, sprich interpretieren, sollen.

Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, daß es hierbei NICHT um eine Anleitung zur Interpretation geht, sondern um die Erklärung der idiomatischen Grundlagen, auf deren Basis eine Interpretation erst entstehen kann.

Die Kritik „akademisch“ geht daneben! Schon im Untertitel wird auf die „Grenzen der musikalischen Notation“ hingewiesen. In dem Buch von Walter Fleischmann wird gerade ein dogmatisch-wörtliche Verständnis des musikalischen Textes abgelehnt und die vielen Differenzierungsmöglichkeiten aufgezeigt, die einer trocken-akademischen Interpretation entgegenwirken und Freiheit und Lebendigkeit in die Musik bringen, welche sie erst zu einer ausdrucksstarken emotionalen Sprache werden läßt.

Auch Herr Vratzens Vergleiche mit Meisterkursen macht hier überhaupt keinen Sinn. Bei solchen Kursen, die sich nur auf einzelne, gerade vorgetragenen Werke und deren Stil beziehen, wird der Student dazu ermutigt, den Interpretationszugang des Dozenten zu übernehmen und zu imitieren. Solche Kurse haben niemals das Ziel, einen vollständigen Überblick aller wesentlichen Prinzipien der Musik zu vermitteln. Erst mit diesem Wissen ist der Musiker imstande, eine eigene, selbstständige und gleichzeitig fundierte Interpretation zu erarbeiten.

Fazit: Der Autor dieses Buches hat über 50 Jahre pädagogischer Erfahrung und eine profunde Kenntnis der Wiener Musiktradition. Für Pianisten, vor allem für junge Pianisten, die den Weg zur Selbstständigkeit suchen, ist dieses Buch als Ratgeber unverzichtbar.

Huw Rhys James




Buchkritik von Christoph Vratz